Kirche zwischen Krise und Umbruch
"Ad-limina", das ist keine Bilanzkonferenz eines Globalinstituts, keine kirchenpolitische Lagebesprechung und auch kein befohlener Rapport. Der Blick auf das am Montag veröffentlichte Besuchsprogramm der österreichischen Bischöfe im Zentrum der Weltkirche macht den Kern dieser schon seit Jahrhunderten in der katholischen Kirche gepflegten Übung deutlich: Es geht um Dialog und gelebte Mitverantwortung der Bischöfe bei der Leitung der Weltkirche mit und unter der Autorität des Papstes. Und das im Rahmen einer Wallfahrt zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus, die damit die apostolischen Fundamente der Kirche deutlich macht.
Der letzte derartige Besuch der Bischöfe in Rom ist schon über acht Jahre her und hat im November 2005 im damals noch jungen Pontifikat von Benedikt XVI. stattgefunden. Für den Feldkircher Bischof Benno Elbs, die Weihbischöfe Anton Leichtfried (St. Pölten), Franz Scharl (Wien) und Stefan Turnovszky (Wien) sowie Abt Anselm van der Linde (Wettingen-Mehrerau) ist es der erste Ad-limina-Besuch. Der Bischof von Eisenstadt, Ägidius Zsifkovics, war zuletzt schon als damaliger Generalsekretär der Bischofskonferenz mit dabei und der frühere Grazer Weihbischof und jetzige Erzbischof von Salzburg, Franz Lackner, dürfte wieder die üblichen fragende Blicke wie bei seinen Vorgängern auf dem Salzburger Bischofsstuhl auslösen. Diese dürfen aufgrund eines päpstlichen Privilegs den Kardinals-Purpur tragen, was bei einigen vatikanischen Mitarbeitern regelmäßig die Frage aufwirft, "wer denn dieser Kardinal ist".
Neben den Gottesdiensten in den römischen Hauptkirchen steht das Gespräch mit dem Papst und seinen engsten Mitarbeitern im Zentrum des Ad-limina-Besuchs. Zu berichten, reflektieren und bewerten gibt es genug, wie der Blick auf die letzten acht Jahre zeigt, die von Umbrüchen, Krisen und Aufbrüchen gekennzeichnet sind.
Gesellschaftliche Megatrends
Paul Wuthe, Kathpress-Chefredakteur |
Gesellschaftliche Megatrends im Europa der letzten acht Jahre spiegeln sich auch in Österreich und seiner religiösen Landschaft wieder: Religion wird - anderslautenden Prognosen zum Trotz - nicht weniger, aber ihre Erscheinungsformen und das Verhältnis der Menschen zu religiösen Institutionen wird vielfältiger und individueller.
Als Beispiel dafür kann der Umstand gewertet werden, dass Österreich seit 2005 mit der offiziellen Anerkennung von Jehovas Zeugen, den Aleviten, und den stark wachsenden christlichen Freikirchen gleich drei neue Religionsgemeinschaften mit demselben rechtlichen Status wie die katholische Kirche hat. Noch dazu gibt es einige neue "Eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaften". Die Tatsache, dass die katholische Kirche die Anerkennung der Freikirchen positiv begleitet hat und mittels der seit 2011 bestehenden Plattform aller anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften den regelmäßigen Kontakt mit diesen pflegt, zeigt wie stark die kirchliche Sicht von Religionsfreiheit 50 Jahre nach dem Konzil gelebte Realität ist.
Gleichzeitig bekommt eine Großinstitution wie die katholische Kirche in Österreich die abnehmende Bindungswilligkeit und stärker gewordene Distanz der Menschen gegenüber Institutionen besonders stark zu spüren. Dies belegt der Rückgang der Katholiken von 5,66 Millionen (2005) auf aktuell 5,31 Millionen. Grund dafür sind nicht nur die Kirchenaustritte sondern auch die rückläufigen Geburten, die durch eine längere Lebenserwartung, leicht steigende Kircheneinritte und den Zuzug von Katholiken aus dem Ausland teilweise aufgefangen werden. Gerade diese fremdsprachigen Gemeinden mit ihren rund 300.000 Gläubigen machen viele Pfarrgemeinden im urbanen Bereich nicht nur bunter, sondern auch jünger und lebendiger.
Die Kirche befindet sich aufgrund der Freiheitskultur im Übergang vom Traditions- zum Entscheidungschristentum. Darauf hat Kardinal Christoph Schönborn bereits öfters hingewiesen und gleichzeitig die damit verbundenen Chancen angesprochen. Es gelte, diese Situation eher als den Normalzustand für das Christentum zu sehen, zumal der Glauben letztlich immer auf eine Entscheidung für Jesus Christus gründet. Freilich, die meisten katholischen Eltern und sogar Ausgetretenen wollen für ihre Kinder die Taufe und fast alle davon empfangen in der Folge die Erstkommunion und Firmung. Hier zeigt der Vergleich mit früheren Jahren eine erstaunliche Stabilität, die zweifelsohne auch Ausdruck einer zeitgemäßen Seelsorge und von lebendigen Gemeinden vor Ort ist. Es ist anzunehmen, dass diese Entwicklungen auch und gerade beim Ad-limina-Besuch zur Sprache kommen werden.
Papstwallfahrt nach Mariazell
Der Blick zurück auf die Zeit von 2005 bis 2008 zeigt eine Kirche in Österreich, die interne Spannungen weiter abbauen und sich zusehends konsolidieren konnte, was sich nicht zuletzt in einem Rückgang bei den Kirchenaustritten niederschlug. Besonders im Vorfeld des Papstbesuchs im September 2007 wuchs das positive Interesse an Person und Themen Benedikts XVI., der aufgrund seiner süddeutschen Herkunft und seiner intellektuellen Strahlkraft immer größere Sympathien gewann. Der Besuch des Papstes im Österreich im September 2007, verbunden mit einer Wallfahrt nach Mariazell, war ein Höhepunkt für die Kirche in Österreich und wurde durchwegs positiv aufgenommen.
Dieser positive Trend hielt an, bis mit der Aufhebung der Exkommunikation für vier lefebvreanische Bischöfe und die damit verbundene "Causa Williamson" Gewitterwolken aufzogen. Die kirchliche Großwetterlage verschlechterte sich dramatisch durch die Turbulenzen rund um die Ernennung eines Weihbischofs für die Diözese Linz, die letztlich auf ungewöhnliche Weise rückgängig gemacht wurde. Wie man auch immer zu den damaligen Vorgängen stehen mag, sie machten einmal mehr deutlich, wie hoch das innerkirchliche Konfliktpotential bei umstrittenen Bischofsernennungen gerade in Österreich ist.
Missbrauchskrise
Von Krisen ist in einer medial geprägten Welt oft und gerne die Rede, gerade auch mit Blick auf die Kirche. Als echte Krise hat sich das Bekanntwerden von zahlreichen Fällen von sexuellem Missbrauch und/oder Gewalt im kirchlichen Bereich entpuppt. Im Gegensatz zur ersten großen Missbrauchskrise 1995 im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen den Wiener Kardinal Hans Hermann Groer reagierten demgegenüber die österreichischen Bischöfe im Frühjahr 2010 geschlossen und entschieden: Binnen weniger Monate wurden österreichweite Regelungen beschlossen und zusammen mit der sogenannten Klasnic-Kommission eine unabhängige Instanz ins Leben gerufen, um Opfern rasch zu helfen, gegenüber Tätern Konsequenzen zu setzen und die Prävention zu stärken.
Selbst kritische Beobachter von außen qualifizierten das Krisenmanagement des Kardinals und der Bischöfe als vorbildlich gegenüber früher und im Vergleich mit anderen Ländern. Kardinal Schönborn war es auch, der in dieser Situation gleichsam als Entlastungszeuge für den medial vehement attackierten Papst Benedikt XVI. auftrat, indem er auf die letztlich vergeblichen Bemühungen des früheren Präfekten der Glaubenskongregation zur Aufklärung der "Causa Groer" aufmerksam machte.
Die ohnedies diplomatische Wortwahl des Wiener Kardinals hatte seinen innerkirchlichen Preis und ließ die Distanz von einflussreichen Kurialen gegenüber dem Wiener Erzbischof und schon bestehende Ressentiments über die kirchliche Situation in Österreich nur noch wachsen. Ein von der Pfarrerinitiative dann im Juni 2011 veröffentlichter "Aufruf zum Ungehorsam" brachte die österreichischen Bischöfe in zusätzliche Schwierigkeiten. Durch die Predigt von Papst Benedikt XVI. am Gründonnerstag 2012 war klar, dass man im Vatikan mit Sorge die Entwicklungen verfolgte. Und bald danach geriet der Vatikan selbst in einen Strudel, ausgelöst durch die "Vatileaks"-Affäre und immer größer werdenden Problemen um die Vatikanbank IOR, die das Bild von Kirche nicht nur in Österreich stark trübten.
Leistungen für die Allgemeinheit
Neu für österreichische Verhältnisse war, dass in dieser Phase atheistisch-laizistischen Gruppen, die sich im Zuge der Missbrauchskrise etablieren konnten, gegen die Kirche mobil machten. Höhepunkt dabei war das sogenannte "Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien". Es fand schließlich im April 2013 statt und verfehlte sein politisches Ziel klar. Mit nur 56.660 Stimmen erzielte es das schlechteste Ergebnis aller 37 in Österreich bislang durchgeführten Volksbegehren. Kirchlicherseits wurde auf das Volksbegehren mit einer auch von Kritikern als beachtlich eingestuften breiten Informationskampagne reagiert, bei der die vielfältigen Leistungen der Kirche in den Bereichen Soziales, Bildung und Kultur thematisiert wurden, von denen die Allgemeinheit profitiert.
Wie sehr die Kirche die Zivilgesellschaft trägt und beseelt wurde nicht zuletzt angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise der letzten Jahre deutlich. So wurden kirchliche Kindergärten, Schulen und Lehrerausbildungsstätten seit 2005 weiter ausgebaut - bei stetig steigender Nachfrage und besten Referenzen. Deutlich zugenommen haben auch die Aufgabenbereiche der kirchlichen Caritas: Umfassten die Caritasorganisationen in Österreich 2005 einen Leistungsbereich von 388,49 Millionen Euro, so verdoppelte er sich fast und hielt 2012 bei einem Volumen von 630,67 Millionen Euro. Die Finanzen der Diözesen konnten sich insgesamt leicht positiv entwickeln, was im Kontext einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise keine Selbstverständlichkeit ist. Zu verdanken ist das neben einer verantwortungsvollen Wirtschaftsführung vor allem den rund 3,2 Millionen Kirchenbeitragszahlern in Österreich.
Überraschender Pontifikatswechsel
Der historische Pontifikatswechsel 2013 brachte die Wende, ausgelöst durch den überraschenden Amtsverzicht von Benedikt XVI., der von vielen in Österreich mit Betroffenheit, aber auch Zustimmung aufgenommen wurde. Mit der Wahl von Papst Franziskus und seinem ersten öffentlichen Auftreten am 13. März 2013 ist nicht nur ein neues Interesse an Papst und Kirche feststellbar. Nahezu täglich ist der Papst als Verkündiger und Interpret der christlichen Botschaft ein Thema. Vor diesem Hintergrund verlieren in Österreich derzeit diverse kirchliche Konfliktthemen stark an Bedeutung. Die weit über 30.000 Rückmeldungen auf die Befragung zur kommenden Synoden über "Familie und Evangelisierung" können als Indiz für geweckte Erwartungen an und bestehendes Vertrauen in die Kirche gewertet werden.
In dieser Phase begibt sich die Österreichische Bischofskonferenz als eine der ersten im neuen Pontifikat "an die Gräber der Apostel". Diese waren vor knapp 2.000 Jahren aufgebrochen, um mit den Menschen ihre Freude über das Evangelium von Jesus Christus zu teilen. "Evangelii Gaudium" lautet auch der Titel des jüngsten Dokuments von Papst Franziskus. Es hat programmatischen Charakter und versteht sich als Leitlinie für eine missionarische Kirche im Aufbruch. Was das konkret für die Kirche in Österreich bedeuten kann, wird sicher einer der zentralen Punkte beim Ad-limina-Besuch der Bischöfe sein.
Quelle: Kathpress