"Selbstbestimmungsrecht nicht absolut setzen"
Das Selbstbestimmungsrecht Sterbender zu stärken "ist ein wichtiges Ziel", es "darf aber nicht absolut gesetzt werden": Das hat der Moraltheologe und Provinzial der Tiroler Servitenprovinz, Martin M. Lintner, in der "Tiroler Tageszeitung" (TT, 23. Jänner) vor dem Hintergrund der Debatte um Sterben in Würde unterstrichen. Äußerungen Sterbenskranker im Sinne von "Ich wünsche und andere müssen meinen Wunsch erfüllen" seien nicht der Tatsache überzuordnen: "Menschen, die an mir etwas tun, sind immer auch dafür verantwortlich, dass sie mir nicht schaden, sondern nützen." Ebenso bestehe zwischen sterben lassen - also den Tod zulassen - und töten - den Tod herbeiführen - "ein Unterschied, der nicht verwischt werden darf", erklärte Lintner.
Das Selbstbestimmungsrecht im Sinne der Patientenautonomie stelle ein "Abwehrrecht" dar: Ein Sterbender dürfe medizinische Behandlungen ablehnen, die den Sterbeprozess nur hinauszögern würden. "Es gibt ein Recht, sterben zu dürfen, wenn sich das Leben dem Ende zuneigt", sagte Lintner, der Präsident der Europäischen Gesellschaft der Katholischen Theologie (ET) ist und der Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen lehrt.
Zu Sterbewünschen, die auf große erduldete Schmerzen zurückzuführen sind, sagte der Theologe, es gebe heute gute schmerztherapeutische Behandlungen, auf die jeder Sterbende ein Anrecht habe: "Niemand darf unnötigerweise Schmerzen leiden." Die enormen Fortschritte der Medizin in diesem Bereich stellten vor die wichtige gesundheitspolitische Aufgabe, das Angebot der palliativpflegerischen Betreuung auszubauen.
Wenn ein Mensch sein Sterben bewusst wahrnehmen kann, habe er das erste Mal die Möglichkeit, auf sein Leben als Ganzes zurückzublicken und es anzunehmen, wies Lintner hin. Er könne dann "versöhnt mit sich, mit den Mitmenschen und mit Gott entschlafen". In Würde zu sterben bedeute, diese Lebensaufgabe gut zu bewältigen.
In der heutigen Gesellschaft mit ihrem "Ideal des unabhängigen bzw. selbstständigen Menschen" tun sich nach den Worten des Ordensmannes viele schwer, Hilfe und Beistand anzunehmen. Abhängigkeit gelte als "demütigend und entwürdigend". Am sozialen Umfeld von Sterbenden liege es, diesen medizinisch, pflegerisch, psychologisch oder seelsorgerisch zu vermitteln, dass Würde nicht verlorengeht, auch wenn man hochgradig auf andere angewiesen wird. Die Würde von Sterbenden zu schützen sei aber auch eine sensible gesellschaftliche Aufgabe, so Lintner. "Deshalb tut eine öffentliche Debatte darüber Not."
Suizid "nicht Höhepunkt der Selbstbestimmung"
Es sei "richtig, dass die Menschen ihr eigenes Sterben möglichst selbst bestimmen wollen und sich da nicht vom Staat oder anderen Obrigkeiten Vorschriften machen lassen wollen", hielt der deutsche Arzt und Theologe Manfred Lütz in derselben Ausgabe der TT fest. Aber: Die Absicht, das Selbst zu vernichten, das da bestimmt, "ist streng genommen gar keine wirkliche Selbstbestimmung". Sich selbst zu töten sei somit also "keinesfalls der Höhepunkt der Selbstbestimmung", betonte Lütz. Selbstbestimmtes Sterben gebe es in Wirklichkeit vor allem im Hospiz, "da bestimmt der Sterbende, wie er sterben will, ob man noch etwas unternimmt oder nicht".
Der erfolgreiche Buchautor plädierte dafür, die Suizidprophylaxe und die Palliativmedizin zu fördern. Wenn Menschen Angst vor Schmerzen, Einsamkeit und Abhängigkeit haben, müsse geholfen werden. "Und man muss klar machen, dass der Satz: 'Ich möchte eines Tages nicht auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sein' zwar irgendwie ganz rücksichtsvoll klingt, in Wirklichkeit aber menschenverachtend ist", wie Lütz anmerkte. "Denn während jemand das sagt, geht es ihm noch gut, aber zur gleichen Zeit wird der Nachbar vielleicht von hilfsbereiten Menschen gepflegt und der Behinderte erhält Hilfe. All diese Menschen werden mit einem solchen Satz diskriminiert." Letztlich sei jeder Mensch als ein soziales Wesen mehr oder weniger auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen.
Seine Ablehnung jedes ärztlich assistierten Suizids begründete Lütz damit, dass eine gesetzliche Freigabe "massiven Druck auf alte, kranke und behinderte Menschen" zur Folge hätte, der Gesellschaft oder der Familie nicht mehr "zur Last zu fallen". Er sei "nicht gegen Sterbehilfe, sondern gegen Tötung", führte Lütz aus. In Deutschland sei der Suizid nicht strafbar und auch die Beihilfe zur Selbsttötung nicht. Allerdings habe die Ärztekammer festgelegt, dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe ist. "Das sollte auch so bleiben", so Lütz.