Schönborn: Bete für entführte Bischöfe
Kardinal Christoph Schönborn hofft weiterhin auf die Befreiung der am Mittwoch, 22. April 2013 entführten syrischen Metropoliten von Aleppo, Mar Gregorios Youhanna Ibrahim und Boulos Yazigi. In einer der Stiftung "Pro Oriente" übermittelten Stellungnahme zum zweiten Jahrestag ihres Verschwindens erinnerte der Kardinal an das Wiener "Old Friends Meeting" der Stiftung "Pro Oriente" im Februar 2013 mit Mar Gregorios.
Wörtlich heißt es: "Es ist, wie wenn es gestern gewesen wäre. Mar Gregorios Youhanna Ibrahim bei Tisch im Wiener Erzbischöflichen Palais: Ein Bischof, wie man ihn sich wünscht, voller Begeisterung für das Evangelium, ein aufmerksamer Beobachter des Zeitgeschehens, ein politischer Kopf, der mitten im Chaos des syrischen Bürgerkriegs nur ein Ziel kannte, die Wiederherstellung des Friedens."
"Pro Oriente" sei es gelungen, zum ersten Mal in der Geschichte alle Kirchen der syrischen Tradition an einem Tisch zu versammeln, erinnerte der Wiener Erzbischof. Der Metropolit von Aleppo, der die große Tradition des Patriarchats von Antiochien in die Gegenwart geführt habe, sei daran wesentlich beteiligt gewesen. Seit 1980 habe er eng mit "Pro Oriente" zusammengearbeitet.
Damals im Februar 2013, kurz vor der Entführung, hätte Mar Gregorios nüchtern die Parteiungen des syrischen Krieges analysiert. Schönborn: "Er zählte die ausländischen Mächte auf, die auf syrischer Erde und mit syrischem Blut ihre Stellvertreterkriege ausfechten. Er nannte sie alle beim Namen, denn er wusste viel; für manche Akteure wusste er vielleicht zu viel. Er beurteilte die Gefahren nüchtern, aber seine Gelassenheit beruhte auf der Überzeugung: 'Wir sind in Gottes Hand'." Schon einmal sei der Metropolit entführt worden, doch dann sei ein Telefonat aus einer bedeutenden arabischen Hauptstadt bei den Entführern angekommen, die ihn daraufhin "zähneknirschend" gehen lassen mussten.
Hilferufer für orientalische Christen
Den Bürgerkrieg habe Mar Gregorios von Anfang an hautnah miterlebt. Bei einem Bombenanschlag unweit der Kathedrale sei er Gott sei Dank mit dem Leben davon gekommen. "In seinem damaligen 'Hilferuf' stellte Mar Gregorios fest, dass die Christen im Nahen Osten heute mit zwei bitteren und ernsten Problemen konfrontiert sind. Einerseits sei die Emigration, die früher gut aufgestellte Gemeinschaften dezimiert habe, ein harter Schlag für die Zurückbleibenden. Andererseits hätten die Christen mit der Welle des radikalen Islamismus zu kämpfen, der den Stimmen der Fundamentalisten und Extremisten Raum gebe."
Salafisten und Wahabiten hätten eine Gefahr für die Koexistenz von Christen und Muslimen im Nahen Osten dargestellt, zitierte Schönborn den Metropoliten. Die Propaganda dieser Gruppen behindere die Entwicklung einer Kultur der Toleranz, der friedlichen Koexistenz, der Religionsfreiheit, des Pluralismus, der Demokratie und der überfälligen Reformen.
Friedensplaner, der alle einbezog
Schönborn erinnerte daran, dass sich die Situation in den letzten drei Jahren noch verschärft habe. Das Überleben des Christentums in seiner Urheimat sei auch durch das Auftauchen des "IS" aufs höchste gefährdet. Als die Kriegssituation in Syrien immer dramatischer geworden sei, habe Mar Gregorios eine "road map" zur Überwindung der Auseinandersetzungen entworfen, mit Verhandlungen unter Einbeziehung aller Konfliktparteien als Startpunkt - "das wird nicht allen 'Kriegsherren' im In- und Ausland gefallen haben".
Der Metropolit von Aleppo habe sich seit jeher - und mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs verstärkt - für die friedliche Koexistenz aller religiösen und ethnischen Gruppen, für Versöhnung, Dialog und Bewahrung der einmaligen pluralistischen Struktur der syrischen Gesellschaft eingesetzt. "Er tat das mit seinem umfassenden theologischen, philosophischen, historischen Wissen, mit seinem politischen Feingefühl und mit seiner so selbstverständlich gelebten Haltung der christlichen Nächstenliebe. Diese Haltung der Nächstenliebe war kennzeichnend für sein pastorales und soziales Wirken in Aleppo, das allen Menschen in Not ohne Unterschied galt."
Bei den Christen in Syrien und bei allen, die den Metropoliten schätzten, herrsche tiefe Trauer und Sorge darüber, "dass dieser geistliche Vater, dieser große Repräsentant der syrisch-orthodoxen Tradition in der Hand von 'Unbekannten' ist. Doch unser Gebet um Befreiung der beiden Metropoliten hört nicht auf", so Kardinal Schönborn.