Bootsflüchtlinge nicht im Stich lassen
Mit einem "dringenden Appell" zugunsten der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer hat sich Kardinal Christoph Schönborn am Freitag an die österreichische Bundesregierung gewandt. "Setzen Sie sich für mehr Rettungsringe und für mehr Rettungsboote ein. Für ein Europa der Mitmenschlichkeit. Für die Rettungsaktion Mare Nostrum 2.0. - eine Aktion, die nicht nur Grenzen, sondern vor allem auch Menschen schützt", heißt es wörtlich in einem Offenen Brief, der in den Ausgaben der "Kronen Zeitung" und von "Heute" veröffentlicht wurde.
Zwar würden heute viele Entscheidungen in der EU-Zentrale Brüssel getroffen, "doch auch Sie, geschätzte Mitglieder der Bundesregierung, können rasch dazu beitragen, dem Sterben im Mittelmeer die Stirn zu bieten", schrieb der Wiener Erzbischof weiter. Verstärkte Bemühungen um lebensrettende Maßnahmen im Mittelmeer müssten durch Hilfe in den Krisenregionen ergänzt werden. "Erhöhen Sie die Mittel der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in einem Stufenplan bitte auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und halten Sie sich künftig an jenes Versprechen, das Sie international längst eingegangen sind", appellierte Schönborn in seinem Schreiben.
Menschen sollten in ihrer Heimat in Sicherheit leben und bleiben können. "Hier könnte auch ein kleines Land wie das unsere wahre menschliche Größe beweisen", warb der Vorsitzende der Bischofskonferenz für mehr EZA-Mittel. "Jeder Mensch, den wir gemeinsam vom Hunger befreien, ist ein Mensch, der sich nicht gezwungen sieht, sein Leben in einer Nussschale zu riskieren." Alle in Österreich von den Spitzenpolitikern bis zu jedem einzelnen Bürger könnten dazu einen Beitrag leisten. "Lassen wir die Menschen im Mittelmeer jetzt nicht im Stich!", forderte der Kardinal einen nationalen Schulterschluss im Sinne der Menschlichkeit.
Europa schottet sich mit zweiter Mauer ab
Schönborn beschrieb eine Besorgnis erregende Entwicklung in Europa, die es umzukehren gelte: Jene Mauer, die einst mitten durch Europa verlief, "umschließt heute unseren Kontinent". Sie mache "blind für die Not der Ertrinkenden", "taub für die Schreie der Menschen auf dem offenen Meer". Die jüngste Katastrophe mit mehr als 1.100 Menschen in der vergangenen Woche ertrunkenen Flüchtlingen mache "sprachlos im Angesicht des Massengrabs im Mittelmeer". Schönborn: "Doch wir dürfen und wollen nicht schweigen."
Mehr als 25.000 Menschen seien in den vergangenen 25 Jahren auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Bei seinem Besuch auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa habe Papst Franziskus vor der "Globalisierung der Gleichgültigkeit" gewarnt, erinnerte Schönborn.
Die Warnung des Kardinals: "Wenn wir heute nicht aufpassen, tragen wir morgen im Mittelmeer auch jene Ideale zu Grabe, auf die wir in Österreich, auf die wir in ganz Europa zu Recht stolz sein dürfen: Solidarität und Völkerrecht. Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe." Schönborn verwies auf die reiche humanitäre Tradition Österreichs, "auf die wir stolz sein können" und der man hierzulande gerade jetzt wieder gerecht werden müsse.
"Niemand verlässt Heimat ohne Not"
Mit diesem Hinweis warb Kardinal Schönborn auch in seiner "Heute"-Freitagskolumne für Verständnis für die Not von Heimatvertriebenen. Der in Böhmen geborene Sproß einer Adelsfamilie habe in seiner Kindheit selbst diesbezüglich Erfahrungen machen müssen: "Meine Mutter ist nicht zum Spaß 1945 mit zwei kleinen Kindern nach Österreich geflüchtet." Wer irgendwie kann, bleibe dort, wo sein Zuhause ist.
Heute seien Millionen von Menschen aufgrund von Krieg, Not, Terror und Verfolgung auf der Flucht. "Oft geht es ums nackte Überleben." Tausende würden ihr Leben auf unsicheren Booten im stürmischen Mittelmeer riskieren, weil sie Sicherheit suchen. Das bedeute auch für Europa ein "Dilemma", schrieb Schönborn. "Öffnet es weit seine Grenzen, kommen immer mehr Flüchtlinge aus allen Krisengebieten der Erde. Versucht Europa sich mit einer Festungsmauer zu umgeben, dann werden die Versuche, trotzdem nach Europa zu kommen, noch waghalsiger, noch gefährlicher, noch tödlicher."
Europa sei gefordert, vor allem durch mehr Entwicklungshilfe Menschen zu ermöglichen, in ihrer Heimat zu bleiben. "Und wir alle sind gefordert", fügte der Kardinal hinzu. "Erfreulich" sei hier die Nachricht der Caritas, dass immer mehr Menschen in Österreich bereit seien, Flüchtlingen zu helfen. Die jüngst zu beobachtende "echte Welle der Solidarität" sei "ein Zeichen der Hoffnung".